Freiarbeit als alternatives Unterrichtsprinzip

Individuelle Förderung der Schüler durch Freiarbeit

Warum Freiarbeit?

Im Zentrum des neuen Schulgesetzes steht die individuelle Förderung der Schüler. Die Freiarbeit eignet sich im besonderen Maße dieser Forderung nachzukommen.

Bei Freiarbeit handelt es sich um Formen selbstständigen Arbeitens, bei denen unterschiedliche Lernvoraussetzungen, unterschiedliche Zugänge und Betrachtungsweisen, unterschiedliches Lern- und Arbeitstempo und häufig auch  fächerübergreifendes Arbeiten berücksichtigt werden. Dem Grundsatz folgend, dass ein Kind am besten das behält, was es sich selbst erarbeitet hat, steht die Selbstständigkeit der Schüler und die Übernahme von Verantwortung für ihr eigenes Lernen im Vordergrund. Freiarbeit zeichnet sich durch ein hohes Maß an Schüleraktivität aus: die Schüler lernen alleine, im Tandem oder in einer Kleingruppe. Oder sie werden zum „Experten“ erwählt, um anderen Schülern zu helfen. Durch die unterschiedlichen Interaktionen der Schüler miteinander wird soziales Lernen und Teamfähigkeit besonders gefördert.

Freiarbeit ist ein Unterrichtsprinzip, welches alle Beteiligten fordert, ihre Lernprozesse selbst zu organisieren und zu beurteilen. Das Nachdenken über diese Entwicklungsprozesse führt dann zu höherem Verstehen. Lehrer und Schüler bilden sich in einem reflektierten Unterricht gemeinsam, indem sie voneinander und miteinander lernen.

„Das Lernen muss von innen heraus kommen, 

d.h. das zu Lernende muss im Lernenden entstehen 

und zwar nicht durch Übernahme von Wissen, 

sondern in ihm selbst wachsend.“

Freiarbeit setzt eine bestimmte Geisteshaltung im Lehrenden voraus. Ein zentraler Begriff des Lernens durch Selbsttätigkeit ist das „genetisch- sokratische Lernen“. Die Freiarbeitsmaterialien sollten an einem festen Ort im Klassenzimmer oder im Fachraum, der für alle Schüler zugänglich ist, aufbewahrt werden.     
Jeder Materialposten befindet sich in einer stabilen Schachtel oder Kiste und ist maximal zweimal vorhanden. Die Oberseite des Deckels ist mit einer Arbeitsanleitung beschriftet, auf der Unterseite gibt eine Inhaltsliste Auskunft, welche Materialien sich in der Schachtel befinden. 

Zielgerichtete Auswahl des Materials

Bevor sich die Schüler für die Durchführung eines Materialpostens entscheiden, lesen sie zum Beginn der Stunde ein Übersichtsplakat, welches kurze Informationen über den Inhalt und das Niveau der Arbeitsmaterialien enthält. Sie treffen dann eine Entscheidung in Absprache mit einem Arbeitspartner. Im Idealfall kommen die Schüler zielstrebig in den Unterricht und wissen schon vor der Stunde, was sie tun möchten. Sie können auch einen Wochenplan im voraus erstellen.

Materialpostulate

Maria Montessori hat beschrieben, wie ein Freiarbeitsposten aussehen muss, damit er die Schüler zum selbständigen Arbeiten anregt: Das Material sollte ästhetisch ansprechend und stabil sein. Die Anschaffung eines Geräts zum Folieren von Karten und Blättern ist unumgänglich. Wichtig ist auch, dass die einzelnen Materialposten nur einmal, jedoch höchstens zweimal vorhanden sind, damit die Schüler sich gegenseitig absprechen müssen, wer welchen Posten erhält. Dies fördert die Kooperationsfähigkeit.

Der Arbeitsplan

Der Arbeitsplan ist neben dem Berichtsheft ein Teil der eigenen, selbständigen Lernkontrolle. Auf dem Plan sind alle Materialposten tabellarisch aufgelistet. Für jede Gruppe ist eine Querzeile vorgesehen, in der erledigte Arbeitsaufträge eingetragen werden (Datum und benötigte Zeit). Wird ein großer Arbeitsplan an der Tafel   verwendet, erhalten die Gruppen einen gelben Haftzettel, den sie in ihrer Zeile auf die Postennummer heften, welche sie gerade bearbeiten.

Vorbereitete Umgebung

Nach Maria Montessori ist die Identifikation der Schüler mit dem Lernort und ihrer Umgebung von besonderer Bedeutung. Sie spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „vorbereiteten Umgebung“. Diese wird durch die Lehrerpersönlichkeit, den Raum und das Arbeitsmaterial bestimmt. Im Idealfall tritt dann nach Montessori das Phänomen der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ auf: Die Schüler fühlen sich wohl und arbeiten aufmerksam und konzentriert mit dem Material.

Spiel und Neugier

Die Freiarbeitsmaterialien für jüngere Schüler sollten den spielerischen Charakter betonen. Der Mensch und das Tier lernen in ihrer Frühphase vor allem über das Spiel und die Neugier. Jedes Spiel eines Kindes ist eine spielerische Vorbereitung auf Problemfälle, die das Leben später stellt. Das Verschlossensein des Freiarbeitsmaterials in einer Kiste, die durch die Schüler geöffnet wird, erweckt in hohem Maße die Neugier. Die Neugier ist besonders groß, wenn der Inhalt der Kiste unbekannt ist.

Lehrer-Schüler-Beziehung

In freien Arbeitsformen besteht eine engere Lehrer-Schüler-Beziehung,  
als in frontalen Arbeitsformen. Dies hängt damit zusammen, dass die Lehrkraft während der Freiarbeit mit einzelnen Gruppen und Schülern direkt ins Gespräch kommt. Sie kann sich beispielsweise 10 Minuten für eine Gruppe Zeit nehmen und sich über die Arbeit der Gruppe unterhalten. Die Freiarbeit ermöglicht durch diese Freiheit eine besonders intensive Betreuung von problematischen Schülern.

Reflexion über die geleistete Arbeit

Gerade in der Pubertät ist es für das Selbstwertgefühl der Jugendlichen besonders wichtig, dass sie sich selbst einordnen können. In der Freiarbeit fertigen die Schüler ein Berichtsheft an, in dem sie über Inhalt und Qualität ihrer Arbeit berichten, z.B.:  
a) Was habe ich gemacht? 
b) Was habe ich gelernt? 
c) Was fand ich gut, was nicht? 
Am Ende der Freiarbeitseinheit sollten die Schüler noch einmal in einem ausführlichen Abschlussbericht über das Unterrichtsgeschehen reflektieren.

Rückmeldung über Lernerfahrungen

Die Reflexion über Lernerfahrungen sollte anderen mitgeteilt werden. Der Dialog über Lernerfahrungen führt zu einer Rückmeldung über die eigene Person und stärkt damit die eigene Selbsteinschätzung. Daher sollten während einer Freiarbeitseinheit auch regelmäßig Stuhlkreise stattfinden, in denen sich die Schüler über ihre Lernerfahrungen berichten und bei Problemen gemeinsam nach Lösungen suchen. Für die Gesprächskreise gelten die Regeln der Themenzentrierten Interaktion (TZI).

Differenzierung der Lernerfahrungen   

Der Zeitrahmen sollte so bemessen sein, dass auch langsam arbeitende Schüler und Schülerinnen zu ihrem Ziel kommen. Nicht alle Schüler lernen gleich schnell und befinden sich auf dem selben Entwicklungsstand. In der Freiarbeit haben auch langsame Schüler eine Chance. Die Arbeitsform lässt eine eigene Zeiteinteilung zu, die dem eigenen, optimalen Lernrhythmus entspricht. Daher ermöglicht die Freiarbeit eine genaue Differenzierung hinsichtlich des Lerntempos und des Lernniveaus.